Von Delia Flury
Dieser Bericht erzählt von meinen persönlichen Erlebnissen der Frauen Weltmeisterschaft im Strecken-Segelflug vom Juli 2023. Für einen Beschrieb der einzelnen Wettbewerbstage verweise ich gerne auf die offiziellen Berichte auf Segeflug.ch direkt aus Spanien:
https://www.segelflug.ch/2023/07/12th-fai-womens-world-gliding-championship-delia-flury-und-barbara-kuttel-fliegen-fuer-die-schweiz/
Tagesablauf
Um 7.30 Uhr stehen wir auf, frühstücken und fahren dann zum Flugplatz. Dort bereiten wir den Flieger vor, der meist schon montiert worden ist aufgrund des schönen Wetters nachts. Unsere Vorbereitung beinhaltet unter anderem das Füllen mit Wasser und Abtrocknen vom Morgentau. Mit Flügelrad und Schleppe fahren wir zur täglichen Wägung und platzieren den Flieger in der vorgesehenen Dreierreihe im Grid. Um 10:30 Uhr startet das Briefing, bei welchem wir das Task Sheet und wichtige Informationen zum Flug erhalten, z.B. über das Wetter an diesem Tag, aktive Lufträume, die Start- und Landeprozedur. Nach der stündigen Vorbereitung auf den Flug begeben wir uns ins Schweizer Teamzelt oder ins grosse Essenszelt, wo es etwas kühler ist. Ich nutze diese Zeit, um mich mit Gesprächen oder Essen abzulenken. Es folgen letzte Vorbereitungen am Flieger vor dem Start um 14 Uhr. Die Flugzeit für die vorgegebenen Tasks ist jeweils zwischen 14 und ca. 19 bis 20 Uhr abends. Danach wird der Discus gereinigt, am Boden befestigt und so für die Nacht vorbereitet. Nachtessen, Bettzeit. So eintönig dies hier klingt, so ist es auch gewesen. Der Tagesablauf ist immer etwa gleich. Die Routine kann helfen, die Konzentration auf den Flug selbst zu kanalisieren. Die Trennung von langer, absoluter Konzentration während dem Flug und erzwungener Erholung/Regeneration kann jedoch auch anstrengend sein. Gegen Ende des Wettbewerbs haben mich die langen, intensiven Tage sehr erschöpft. Zurück im Arbeitsalltag im Spital als Physiotherapeutin habe ich die Abwechslung sehr genossen.
Wetter
Das hauptsächliche Fluggebiet deckte das Flachland zwischen Sierra de la Demanda im Norden und Sierra de la Guadarrama ab sowie im Südosten das Gebirge von Cuenca. Die Lufträume von Madrid reichten bis tief in die Sierra de la Guadarrama und erschwerten taktisch Flüge in diesem Gebiet. Das Wetter war nicht wie erwartet mit Frontensystem: Typisch für diese Region im Sommer wäre ein Frontdurchgang am Tag X mit darauffolgendem Blauthermik-Tag und dann stetig zunehmend guten Thermiktagen mit Wolken, bis wieder die nächste Front erfolgt. Die WWGC wurde mit Start Anfang Juli eher früh im Jahr geplant. Die beste Flugsaison gemäss Weglide (Website, auf welchen die Flüge hochgeladen werden und welche die Auswertung nationaler Wettbewerbe erlaubt) scheint Ende Juli/ August starke Thermik, hohe Basis und lange Flüge zu versprechen. Wir haben zu Beginn mit Rauch in der Atmosphäre von Waldbränden in Kanada gekämpft, worauf dann einige Tage eine gewittrige aber teils fliegbare Phase und dann Blauthermik-Tage mit einzelnen Cumuli folgten. Da Spanien weit im Westen Europas aber in der gleichen Zeitzone liegt wie die Schweiz, geht die Thermik später am Tag los. So starteten wir meist erst am Nachmittag und die spätesten Heimkehrerinnen erreichten den Flugplatz teilweise nach 20 Uhr. Dies wurde durch die Bildung von Konvergenzen ermöglicht, welche sich im nördlichen Gebirge Sierra de la Demanda aber auch nördlich der südlich gelegenen Bergzüge Sierra de Guadarrama formten. Mit dem Wetterprogramm Skysight waren diese Konvergenzen gut berechenbar und konnten auch während dem Flug angesehen werden. In die Konvergenzen zu kommen war je nach Tag und Aufgabenausschreibung trotzdem eine Herausforderung.
AAT und Speed Aufgaben
Es wurden Aufgaben mit beiden FAI-Typen ausgeschrieben: Racing Tasks mit 500m Kreisen und somit klar definierter Strecke. Assigned Area Tasks mit grösseren Wendekreisen und einer festgelegten Mindest-Flugzeit: Bei diesem Aufgabentyp ist es den Pilotinnen möglich, ihre Strecke selbst zu definieren mit Wenderadien von teilweise 30km, was eine genauere taktische Planung des Wetters und des Fluggebiets erfordert. Dabei musste der Wind immer eingerechnet werden, da wir beispielsweise mit 30km Gegenwind starke Thermikbärte nehmen und möglichst wenig Zeit verlieren durften und mit Rückenwind dann vorsichtiger vorfliegen wollten. Ich beging bei diesem Aufgabentyp den Fehler, dass ich den eigens gewählten Wendepunkt nicht spitz genug angeflogen bin, womit ich Zeit verloren habe, die mir keine weitere Strecke ergab. Es lohnt sich sehr, sich vorher ein klares Bild zu machen, wie der Wendepunkt anzufliegen ist und das mit dem Wolkenbild abzugleichen. Die Vorbereitung mit dem Task Sheet nahm mindestens eine Stunde in Anspruch. Die Strecke dann in echt abzufliegen ist nochmals eine andere Herausforderung. Ich habe je-weils die Arbeitshöhe, gewünschte Flugzeit auf jeweiligem Schenkel, Wind, zu fliegende Geschwindigkeit und vieles weiteres errechnet und notiert. Die Startlinie wurde jeweils 20min nach dem letzten Schlepp der Klasse geöffnet. Aufgrund der späten Thermikentwicklung wurde aber lange gewartet vor dem Abflug. Der späteste Abflug in der Clubklasse um 17 Uhr zerrte an den Nerven der einzelnen Pilotinnen (wie sie mir später mitteilten) und zog einige Aussenlandungen mit sich. Diese Situation komplizierte sich in den folgenden Tagen durch die PEV (Pilot Event Marker), welche nach Drücken des Event Markers eine Sperr-Abflugzeit nach sich zog von sieben Minuten und ein effektives individuelles Abflugfenster von sieben Minuten. Da man von anderen Nationen oder Pilotinnen nicht wusste, wann der Marker gedrückt wurde, zog sich das Feld etwas auseinander und etwas später auf Flugstrecke bildeten sich Pulks. Das Warten vor dem Abflug konnte ich fast nicht aushalten.
An mehreren Tagen der zweiten Woche startete ich als Erste meiner Klasse und diente so anderen Pilotinnen als Boje. Wenn ich mich höher in der Rangliste platziert hätte, wäre das ein No-Go. Aber mich störte es nicht, denn ich wollte den Flug starten, sehen was vor mir liegt. Der Vorteil ist dabei, dass ich mich einholen lassen kann und auf weiterer Strecke dann mit den anderen Pilotinnen fliegen kann, die schneller vorfliegen. Mit meiner vergleichsweise knappen Flugerfahrung gilt es auch, meine Fähigkeiten abzuschätzen und zu wissen, wie ich am besten die Aufgabe fliegen kann und dies war eine meiner Strategien. Am Tag meiner besten Platzierung gelingt es mir, im Team mit anderen abzufliegen und bis zum Schluss die schnelle Vorfluggeschwindigkeit zu halten und die 357km in den Südwesten und zurück mit 108km/h zu absolvieren. Ich landete so auf dem 9. Platz. Dies ist auch gleichzeitig meine schnellste Schnittgeschwindigkeit, was deut-lich zeigt, wo ich mich verbessern muss: schnellere Schnittgeschwindigkeiten und weitere Strecken fliegen. Den Wettbewerb habe ich genutzt um u.a. daran zu arbeiten…
Konkurrenz
Es gab drei Klassen, die jeweils unterschiedliche Aufgaben von der Wettbewerbsleitung erhielten: Club (19 Pilotinnen. Klasse mit Handicap Faktor wegen Unterschieden zwischen der Leistungsfähigkeit der Flugzeuge, ohne Wasser, ohne Wölbklappen, maximal 15m Spannweite), Standard (16 Pilotinnen, darunter ich, fliegerisch aus Courtelary und Barbara Kuttel aus Montricher. Klasse mit 15m Spannweite, keine Wölbklappen), 18m (12 Pilotinnen. Klasse mit maximal 18m Spannweite, Wölbklappen erlaubt) Die Pilotinnen waren stark unterwegs, waren teilweise schon mehrere Frauen-Weltmeisterschaften geflogen und haben um die 2000 Stunden im Flieger (Ich bin mit 700 Stunden in die WM gestartet). Es hatte aber auch viele neue Pilotinnen dabei, welche stark eingestiegen waren z.B. aus Holland, Deutschland, Tschechische Republik. Die Teams im Hintergrund waren gut organisiert und stets vor Ort, um die Pilotinnen zu unterstützen. Die Team Captain gaben teilweise auch hilfreiche Tipps vom Boden über Funk.
Die Pilotinnen der grösseren Nationen organisierten sich vor allem mit gut vorbereitetem Teamflug. In der Blauthermik kam dies dem Team Frankreich z.B. sehr zu gute. Sie konnten sinnvoll ausschwärmen, um die nächste gute Thermik einfacher zu finden, was die anderen Nationen mitbekommen haben. Grundsätzlich wird mit LX 8000 oder 9000 geflogen und der Competition Mode wurde im Flarm kaum verwendet, womit es möglich war, einander in der Luft auch digital zu sehen und die eigene Strecke zu optimieren. Nur Nachfliegen ist allerdings nicht möglich, viel zu schnell wird man abgehängt bei den schnellen Schnittgeschwindigkeiten, die erflogen wurden. Gewonnen haben schliesslich die drei grossen und gut organisierten Nationen in allen drei Klassen: Tschechische Republik. Frankreich und Deutschland. Mit Pilotinnen aus der Ukraine, Spanien, Italien, Argentinien und Holland entstand ein toller Austausch. Es war eine kollegiale Atmosphäre. Ich hatte nicht das Gefühl mit Messer zwischen den Zähnen fliegen zu müssen, was ein häufiges Vorurteil gegen Wettbewerb sein kann. Der Austausch mit anderen Pilotinnen regte meinen fliegerischen Denkprozess an, sei es in der Vorbereitung, taktischer Überlegung oder im fliegerischen Können. Es ist ein spezielles Gefühl mit bis zu 40 Segelfliegerinnen im Pulk zu fliegen und es hilft zu wissen, dass die Pilotinnen nicht ihr Leben riskieren würden für einen perfekten Flug! Am Internationalen Abend, am Hexenabend und am Abschlussfest knüpften sich Kontakte zwischen Pilotinnen und den Teams. Hierbei liess sich unser Sport richtig feiern. Dabei genügend Schlaf zu erhalten war eine Herausforderung. Die Organisatoren Àngel und Miguel gaben ihr bestes um den Wettbewerb sicher durchzuführen. Es gab einige Lücken in der Landeplanung, dem Luftraumbriefing und der Kartenorganisation, wobei wir uns die Informationen selbst organisieren mussten. Mit etwas mehr Vorbereitung hätten sie diese Fehler wohl ausmerzen können, aber sie waren stets mit Charme vor Ort um diese wiedergutzumachen.
Persönliche Herausforderungen
Die wichtigste Erfahrung hat sich bestätigt: möglichst viele Stunden vor der Meisterschaft zu trainieren hilft, sich im Flieger wohl zu fühlen und einen kühlen Kopf zu bewahren. Die grösste Herausforderung dabei war eindeutig die Ausdauer: Die Meisterschaft begann mit einzelnen Wertungstagen gefolgt von neutralisierten Tasks. Die letzten sieben Tage starteten wir täglich mit neuer Aufgabe. Da die Schleppzeiten zwischen 13.30 und 15 Uhr wie oben erwähnt später waren als gewohnt, verschob sich für die Meisten auch der Abflug über die Startlinie sehr weit nach hinten. Mit der Konvergenz kann teilweise bis um 20.30 geflogen werden, was eine späte Ankunft auf dem Flugplatz und entsprechend späte Nachtruhe mit sich zog. Dies zerrte so sehr an meinem Energielevel, dass ich am letzten Tag kaum noch zu fliegen vermochte. Die Konzentration war im Eimer und der blieb am Boden – nach einem von sechs Schenkeln kämpfte ich mit Gegenwind und liess mich zu sehr abtreiben, ich kam nur mühselig von 1400m wieder hoch auf knapp 2800m. Die vielen schlechten Entscheidungen und zerrissene, schwer zu zentrierende Thermik mit starkem Versatz zerrte zu sehr an meiner Energie, es machte keinen Spass mehr. Dies führte zu meiner Entscheidung, die Aufgabe auf dem zweiten Schenkel schliesslich abzubrechen und als ich landete, bereute ich es nicht. Betrachte ich mein optimales Leistungszentrum, konnte ich zu diesem Zeitpunkt lediglich 30% meiner maximalen Konzentration und Energie abrufen, was für eine saubere Flugtaktik einfach nicht ausreicht. Ein grosses Ziel wird in Zukunft also sein, die fliegerische Ausdauer zu trainieren – länger, weiter, öfter fliegen und auf genügende qualitative Erholung achten. Dies nicht nur im Hinblick auf folgende Meisterschaften, sondern auch mein Wohlbefinden im Flieger. Rückblickend auf meine persönliche Motivation für diese WWGC 2023 gab es für mich zwei zentrale Ziele: Mich mit anderen Frauen in einem neuen Fluggebiet messen und neue taktische Fähigkeiten erlernen. Ziele müssen so gesetzt werden, dass sie erreichbar und realistisch sind. Mit starker Konkurrenz und häufiger Blauthermik war es eine gute Idee, kein Rangziel zu setzen, welches aufgrund zu vielen Unbekannten in der Rechnung ohnehin nicht erreichbar gewesen wäre. So kann ich nun auf viele neue Erfahrungen und erreichte Ziele zurückschauen.
Team
Es ist entscheidend, wer am Wettbewerb zur Unterstützung dabei ist. Es hilft, wenn die Person die Pilotin gut kennt, nur schon um einzuschätzen, wann Hilfe, wann Ruhe, wann Ermutigung und wann Ratschläge erforderlich sind. Janine und Niels haben dies wunderbar gespürt und mit ihrer positiven und intuitiven Art die anspruchsvollen Tage einfacher gemacht. Sie haben bei brütenden 37°C nicht nur die fliegerischen Helferaufgaben gemeistert wie montieren, putzen, abkleben und für die Nacht dingfest machen, son dern sich auch für zwischen- menschliche, mentale und emotionale Erfahrungen Zeit genommen. Dies hielt mir den Rücken frei und liess mich besser auf die täglichen Tasks fokussieren. Unterstützung habe ich aber auch im Vorfeld und nach der Meisterschaft durch viele Beteiligungen an meinem Crowdfunding auf www.ibelieveinyou.ch und durch Interesse meiner Freunde und Familie erfahren. Es war sehr schön zu spüren, dass mich so viele Menschen in meinem Lernprozess unterstützt haben. Alles in allem hat die Vorbereitung und die WM selbst etwa ein halbes Jahr in Anspruch genommen. Organisation, fliegerische Fähigkeiten, Wissen, Gedanken, Finanzen, Nerven. Ich bin sehr froh, musste ich das nicht alleine bewältigen und danke Allen, die mich bei dieser wertvollen Erfahrung an diesem fairen Wettkampf mit starken Pilotinnen unterstützt haben! MERCI
Bilder : Schweizer Segelflugverband